Regen. Viele Menschen mögen ihn nicht. Sie beschweren sich wie kleine, plärrende Kinder, wenn er ihre Kleidung durchnässt und ihre Frisuren bedroht. Sie suchen Schutz unter Schirmen, Kapuzen und Regenmänteln um bloß seinem nassen Kuss zu entgehen und ihre ach so kostbare Trockenheit zu bewahren, ohne sich wirklich der Tatsache bewusst zu sein, dass jeder von ihnen im Grund nichts weiter ist als Wasser, eingesperrt in ein wenig Fleisch.
Ich habe den Regen immer geliebt. Den Geruch, wenn er im Sommer den Asphalt tränkt und dadurch selbst der Stadt – dieser visionslosen Anhäufung von Stein, Holz und Stahl – ein wenig Mystik verleiht. Das Gefühl, wie er meine Haut gestreichelt, allen Schmutz von mir gewaschen und mir die Illusion von Geborgenheit gegeben hat. Das Gefühl wenigstens von irgendwem, von irgendetwas beachtet zu werden, auch wenn niemand sonst sich ernsthaft für mich interessierte.
Wenn der Regen meinen Körper berühren konnte, wenn meine Anwesenheit verhinderte, dass er einfach schnurgerade seinen Weg zum Boden fortsetzt, musste ich zwangsläufig existieren und konnte nicht nur ein Geist sein, der sich lediglich einbildete am Leben zu sein. Mehr noch: Wenn der Regen mich beachtete, wenn er sich die Mühe machte meinen Körper zu umfließen, dann musste ich auch die Möglichkeit haben, Dinge zu verändern und konnte nicht so machtlos sein, wie es mir die Gesellschaft Tag für Tag vermitteln wollte.
Der Regen war mein Freund.
Wusch er nicht meine Tränen davon und verdünnte meinen Schmerz bis zur Unkenntlichkeit? Sang er mich nicht mit klopfenden Rhythmen in den Schlaf wie eine allgegenwärtige, liebende Mutter, wenn ich mich in meiner kleinen, einsamen Dachgeschosswohnung zur Ruhe legte? Gab er nicht allem, was lebte und wuchs erst die Chance dazu, genau das zu tun?
Auch jetzt, in diesem dunklen, weglosen Wald so weit entfernt von zu Hause, liebte ich den Regen immer noch. Trotzdem hoffte ich, betete ich mit jeder Faser meines Herzens, dass er bald aufhören würde. Dass die Wolken, die seine Heimstatt waren, sich endlich auflösen und dem höhnischen Lachen des bleichen, trockenen Mondes Platz machen würden.
Es war nicht so, wie ihr vielleicht vermutet. Der Regen hatte sich nicht verändert. Er war keine braune, giftige Brühe geworden, die vom Himmel auf mich hinab regnete. Nichts, was meine Haut auflöste, meine Gene mutieren ließ oder meine Gedanken mit Trugbildern und Alpträumen vernebelte. Es handelte sich um die gleiche kostbare, klare und erfrischende Flüssigkeit, die ich Zeit meines Lebens kannte und liebte.
Nein, mit dem Regen selbst war alles in Ordnung.
Die Sache war nur die: Wenn der Regen anhalten würde, wenn er weiterhin in tausenden winzigen, samtweichen Splittern über meinen Leib und den von Tannennadeln bedeckten Boden tanzen würde, würde mein kleines Feuer ausgehen.
Und dann würde es nichts mehr geben, was SIE noch von mir fernhält.