Der Wachtraum

Ich leide unter Schlafparalyse. Von Zeit zu wache ich auf und kann mich doch nicht bewegen. Mein Körper gehorcht mir nicht. Kein Stück. Aber mein Geist ist wach. Das Denken funktioniert. Jedes meiner Gefühle funktioniert. Auch die Angst. Ganz besonders die Angst. Die Angst nie wieder richtig aufzuwachen. Die Angst immer so zu bleiben. Wie im Koma. Meine Umgebung nehme ich wahr. Manchmal klarer. Manchmal weniger klar. Mit größter Anstrengung gelingt es mir einen Finger zu krümmen oder unverständliche Hilfeschreie zu brabbeln. Sonst nichts. Gar nichts. Objektiv gesehen für Minuten. Gefühlt aber oft für Stunden, da mein Zeitgefühl total im Arsch ist. Irgendwann hört es auf. Die Realität hat mich wieder. Das Leben hat mich wieder.

Das allein ist zwar schlimm, zumal ich nie weiß, wann es mich wieder erwischt. Aber es ist bei weitem nicht das schlimmste. Viel schlimmer sind die Bilder. In diesem Zustand überlagern sich Traum und Wirklichkeit. Die unscharfen Fantasiebilder meiner Träume verwandeln sich in greifbare und sichtbare Objekte, Menschen oder Wesen. In Dämonen, die mich gierig anblicken. In Messern, die auf mich zukommen. In alles was sich mein kranker Traumgeist so ausmalen kann.

Stell es dir mal vor. Du liegst reglos und wehrlos in deinem Bett während der unaussprechliche Schrecken deines letzten Albtraums dir in die Wirklichkeit gefolgt ist und dich bedrohlich angrinst. Er tut dir nichts. Er kann dich nicht berühren. Aber er verschwindet auch nicht. Und du kannst ihn nicht verscheuchen. Und so foltert er dich mit seinen Augen, mit seinem Anblick, mit deiner eigenen Vorstellungskraft. Bis du es nicht mehr aushältst. Das Wissen, dass du es dir nur einbildest, dass es wieder vorbeigeht, hilft dir … kein bisschen.

Immerhin 7,6% der Bevölkerung machen mindestens einmal in ihrem Leben diese Erfahrung. Die Chancen stehen also nicht allzu schlecht, dass auch du sie noch machen wirst.

Manche sagen, aus diesem Zustand kann man leichter als gewöhnlich in die Astralebene wechseln und dort Reisen unternehmen. Oder zumindest luzide Träume, also Wachträume erleben. Ich persönlich habe sowas noch nie erfahren dürfen. Nun. Zumindest bis heute Nacht.

Es gibt Techniken dazu. Man kann sich demzufolge aus seinem Körper „herausrollen“. Oder man formt eine Hand vor seinem geistigen Auge, die man dann bewegen kann. Es gibt noch viele weitere solcher Techniken und bisher bin ich bei der Anwendung immer grandios gescheitert.

Jetzt aber scheint es funktioniert zu haben. Der Raum um mich sieht noch genauso aus wie zuvor, aber ich sehe mich selbst reglos und tief und fest schlafend in meinem Bett liegen. Ein sehr eigenartiges Gefühl. Panik kommt in mir auf. Aber ich versuche meinen Herzschlag zu beruhigen. Ich hatte mal gelesen, dass man förmlich aus dem Traum katapultiert wird, wenn man sich zu sehr aufregt. Stattdessen gehe ich auf die Wand zu. Ich fasse sie an und spüre die raue Tapete. Jede Einzelheit ihrer Struktur. Ich frage mich wie es wäre hindurchzufassen und plötzlich kann ich es. Meine Hand schiebt sich durch das feste Material und ich spüre das Mauerwerk, dass sich weich wie Pudding um meine Hände schmiegt. Neugierig geworden stecke ich meinen Kopf in die Wand. Der Raum verschwindet und ich sehe das weiße Mauerwerk direkt vor meinen Augen, obwohl das eigentlich mangels Licht unmöglich sein sollte. Auch spüre ich den Druck auf meinem Kopf. Das kitzeln bröseliger Steine auf meiner Haut und ich glaube sogar den Mörtel zu riechen. Ich überlege kurz, durch die Mauer zu gehen, aber das erscheint mir selbst im Traum zu seltsam. Stattdessen ziehe ich meinen Kopf zurück und stelle mir einen Gang durch die Wand vor. Vor mir erscheint sofort ein schmaler und dunkler Gang, dessen Ende ich nicht absehen kann. Ich folge ihm ein paar Schritte und laufe im Grunde direkt über schwarzes Nichts. Kurz habe ich Angst hinunterzufallen und stürze wirklich ein paar beängstigende Schritte tief, ehe ich problemlos wieder nach oben schwebe. Langsam beginnt mir das ganze Spaß zu machen. Testweise denke ich an einen Apfel und beiße hinein. Rot. süß und saftig. Genau wie ich sie mag.

Plötzlich frage ich mich, was eigentlich mit meinem Körper passiert. Ich überlege mich umzudrehen, habe aber seltsamerweise Angst davor. Und vor dem, was ich dann sehen könnte. Ich atme tief durch und beschließe es doch zu tun. Meine Angst war nicht unbegründet. Rings um meinen Körper stehen drei gebückte, schwarze Gestalten. Sie sind unglaublich dünn und sehen fast mehr wie Schatten aus. Nicht wie normale Lebewesen. Nur ihre Augen glühen rot. Einer davon ist grad dabei an meinem Kopf zu schnüffeln. Ein anderer kratzt mit seiner dürren Hand an meinem Arm. Und der dritte scheint mich zu bemerken. Er dreht sich um und sieht mich genau an. Eiskaltes Grauen schießt durch meine Brust. Aber trotzdem wache ich nicht auf. Während sich die anderen beiden Gestalten mit meinem realen Körper beschäftigen rast die dritte regelrecht auf mich zu. Ihre roten Augen lähmen mich.

Erst im letzten Moment ziehe ich mich in den Gang zurück und denke mir eine dichte Tür herbei. Ich wünsche mir, dass die Tür blickdicht wäre, aber auch wenn sie das Wesen gnädigerweise zurückhält kann ich weiter jedes Detail sehen. Seine langen schwarzen krallen. Seine funkelnden roten Augen und seinen grotesk aufgeblähten Brustkorb. Das schlimmste aber ist das bösartige, höhnische Lächeln voller scharfer weißer Zähne, dass es mir präsentiert. Ich versuche alles um aufzuwachen. Ich kneife mich. Ich stell mir genau vor wie ich in meinem Zimmer aufwache und mir Kaffee koche. Ich stelle mir das Tageslicht vor. Aber es passiert nichts. Das Wesen starrt mich weiter an. Zynisch, grotesk und mitleidlos. Ich versuche wenigstens an eine Waffe zu denken. An irgendetwas mit dem ich das Ding aufhalten kann. Aber nichts geschieht. Es ist als wenn ich die Kontrolle verloren habe. Irgendwas tief in mir sagt mir, dass ich sie zurückerlangen würde, wenn ich meine Barriere fallen ließe. Aber dann wäre dieses Ding direkt bei mir. Das durfte nicht sein.

Hilflos starrte ich an dem Ding vorbei zu meinem Körper. Und ich begann zu schreien. Einen lautlosen Schrei, den ich mir im Grunde nur einbildete. Die beiden Wesen hatten damit begonnen mich zu häuten. Meine Bauchmuskeln waren bereits zu sehen, während das andere Wesen sich langsam zu meinem Schädel durchgrub. Tief in mir wusste ich, dass ich wirklich sterben würde, wenn sie ihr Werk vollendete hätten. Aber ich konnte mich nicht rühren. Wimmernd schloss ich die Augen und versuchte weiter aufzuwachen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich erneut zu meinem Körper. Es gab ihn nicht mehr. Auf dem Bett lag nur noch eine blutige Masse. Eines der Wesen kaute genüsslich auf meinem Herz herum, während das andere das letzte Stück meines Gehirns verschlang. Es war zu spät. Das wusste ich. Ich spürte auch meinen Herzschlag nicht mehr. Ich war tot.

Und trotzdem war ich noch da. Langsam bewegten sich die Wesen auf mich zu bis ihre ekelhaften Gesichter und ihr eiskaltes Lächeln sich gegen die Barriere drückten. Ich wollte sie fallen lassen. Ich wollte auch diese Existenz beenden und in süßes Nichts abtauchen. Aber auch das ging nicht mehr. Ich hatte jedwede Art von Kontrolle verloren. Für immer. Ich hatte mich buchstäblich selbst im Stich gelassen. Und nun würde ich ewig hier sein. In einer astralen Projektion meines Zimmers. In einem selbst geschaffenen Gefängnis. Umgeben von roten Augen, weißen Zähnen und ewiger Angst…

Ich kann nur für euch beten, dass ihr euch nie in dieser Situation wiederfindet. Aber wenn doch. Dann seid nicht so dumm wie ich. Oder seid mutiger als ich. Die Alternative…

Sie ist unaussprechlich!

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