Homo homini lupus

„Wenn ich mich recht erinnere, habe ich verlangt, dass du für mich tanzt.“ Die Stimme war kalt, hochnäsig und ohne jedes Mitgefühl. Das Wesen, dass die Worte sprach, saß auf einem Thron aus menschlichen Schädeln und hatte etwas zutiefst unmenschliches an sich. Seine Augen loderten vor Hass, als wären dort finstere Flammen entzündet worden. Und doch verbargen sie sich hinter polierten Glaskugeln, die jedes Flehen, jede Bitte um Gnade unweigerlich reflektieren mussten. Alles was durch diese Augen wahrgenommen wurde, so viel war mir klar – galt ihrem Besitzer ausnahmslos als Eigentum, mit dem er nach belieben verfahren würde. Die anderen Kreaturen unterschieden sich kaum von der ersten. Kalte Blicke. Harte Münder. Gnadenlose Gesichter. Sie alle schienen direkt aus einem Albtraum gekommen zu sein.

„Und lächle bitteschön dabei. Ich kann diesen Trübsinn nicht ertragen.“

Dass man den Sohn von Jennifer, der Frau von der der Tanz verlangt wurde, gerade direkt vor ihren Augen umgebracht und ihr danach die Füße zu blutigen Klumpen zerschnitten hatte, kümmerte sie nicht. Sie verlangten Gehorsam. Unbedingt.

Und diesen Gehorsam mussten wir leisten. Sie hatten uns besiegt. Es war ein langer Kampf gewesen, aber nun waren wir ihnen ausgeliefert und sie feierten ihren Sieg mit bestem Champagner, gutem Essen und erlesenen Grausamkeiten. Sie hatten gesiegt. Und deshalb mussten wir gehorchen. Oder vergehen.

Jennifer kämpfte sich auf ihre zerschnittenen Füße hoch, wobei sie erhebliche Mühe damit hatte, nicht auf ihrem eigenen Blut auszurutschen. Sie begann damit einige Tanzschritte zu vollführen, aber bereits beim ersten Schritt entfuhr ihr ein heftiger Schmerzensschrei.

Zorn verzerrte das ohnehin harte Gesicht des dämonischen Mannes. „Du solltest lächeln! Nicht schreien. Du kennst die Strafe für Ungehorsam!“

„Nein.“ Flehte sie verzweifelt. „Nicht auch noch meine Tochter.“

Das Ding auf dem Thron lachte grausam. „Oh keine Angst. Nachdem wir mit ihr fertig sind, wirst nicht mal mehr du sie als deine Tochter erkennen. Das wird dir sicher helfen, mit der Trennung klar zu kommen. Und sieh es einmal so: Danach bist du wieder eine freie Frau. Zum Single hatten wir dich ja schon gestern gemacht. Du erinnerst dich vielleicht. Seine Beine haben besonders gut geschmeckt, oder etwa nicht?“

Der Dämon leckte sich genüsslich über seine Lippen. Es stimmte. Gestern musste Jennifer ihren Mann Karl essen. Bei lebendigem Leib. Die Dämonen haben ihr gnädigerweise dabei geholfen. Alleine hätte sie es niemals geschafft. Sie wollte sich weigern und bot stattdessen ihr eigenes Leben an. Aber sie hatten ihr versprochen, ihre Kinder zu verschonen, wenn sie brav zulangte und so ausgehungert wie sie war, hatte sich zumindest ihr Körper wahrscheinlich nicht einmal dagegen gesträubt. Nun jedoch erlebte sie, wie viel man von ihren Worten halten konnte.

Die Erinnerung an die grauenhaften Ereignisse brachten Jennifer dazu, sich zu übergeben. Sie würgte ihren Mageninhalt, der allein aus den Überresten ihres eigenen Mannes bestand, auf den blitzsauberen Fußboden.

„Wie kannst du es wagen unseren kostbaren Fußboden zu beschmutzen?“ fuhr sie eines der anderen Geschöpfe mit hochrotem Kopf und aggressiver Stimme an. Derjenige, der ihr Anführer war fügte mit ruhigerer, durch und durch sarkastischer Stimme hinzu. „Und wie kannst du deinen tapferen Mann so behandeln? Gestern hast du noch beteuert, wie sehr du ihn liebst und nun kotzt du ihn einfach aus? Ich denke, du solltest dich wieder mit ihm vereinen. Fang an ihn aufzulecken!“

„Nein!“ erwiederte Jennifer schwach.

Auf den Gesichtern der Kreaturen erschien Unglauben. „Du widersprichst uns? Liegt dir denn gar nichts an deiner Tochter?“

„Ihr werdet sie sowieso töten.“ erwiederte Jennifer mit einem letzten Funken Stolz und Trotz. „Und ob ihr mich tötet, ist mir egal. Was bringt es noch in so einer Welt zu leben?“

„Wie du meinst.“ sagte der Anführer, hob seine Waffe und schoss ihr augenblicklich in den Kopf. Ein Stück ihres Gehirns spritze auf den Boden. Der Rest des Körpers folgte eine Sekunde später.

„Sagt der Tochter, dass es Essen gibt. Und holt sie her.“ befahl er einem seiner Untergebenen.

Als nächstes würde ich an der Reihe sein. Das wusste ich genau. Ich war der letzte, der noch von unserem Volk übrig war. Und auch von ihnen gibt es nur noch eine Handvoll und keine Frauen oder Kinder. Sie würden aussterben. Und innerlich waren sie ohnehin bereits tot. Unsere Völker waren beide ausgelöscht. Das ist es wo die Spirale der Rache hinführt. Es beginnt mit einem Unrecht. Aber wenn es nicht endet, endet es im Nichts.

Und das war auch der Grund, warum ich mich trotz all der Grausamkeiten nicht moralisch überlegen fühlen konnte. Jetzt hatten sie gesiegt. Ganz knapp. Aber zuvor hatten wir ihnen genau das gleiche angetan. Und sogar schlimmeres. Ich hatte unaussprechliche Verbrechen verübt. Und auch Karl und Jennifer. Sogar ihr Sohn und ihre Tochter. Genau wie jene von uns, die im letzten Kampf gefallen sind. In diesem Krieg gab es keine Unschuldigen mehr. Wir hatten Männer, Frauen und Kinder gedemüdigt, gefoltert, getötet und vergangenes Unrecht als Rechtfertigung benutzt. Genau wie sie auch. Sie waren nicht besser. Aber wir waren es auch nicht.

Es gibt Sieger in diesem Krieg. Zwei sogar: Die Rache und den Tod. Doch die Menschen verloren alles was sie ausmachte. Erst die Freude, dann das Mitgefühl und zuletzt das Leben selbst. Wir Menschen waren die wahren Verlierer.

Und so gerne ich unsere Feinde auch aus reiner Gewohnheit und weil es schlicht bequemer war, als Dämonen betrachtete. So waren Sie doch auch nichts weiter als Menschen. Schwache, fehlerhafte Menschen. Genau wie wir.

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