Hüter des Verfalls: Romantik

Liebes Tagebuch,

Daniela geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Doch Leider ist das Gefühl nicht so schön, wie es der Satz vermuten lässt. Klar, natürlich fasziniert mich diese Frau. Das würde jedem Mann so gehen. Sie ist nun einmal etwas ganz besonders. Aber lieben? Nein lieben tue ich sie nicht. Wir sind einfach zu verschieden.

Haltet mich nicht für oberflächlich. Aber eine Frau mit grauer Haut? Fast ohne Haare. Ohne Brüste. Ohne Lippen. Mit messerscharfen Zähnen. Nun: Das erfordert schon einen speziellen Geschmack.

Und dann ihr Atem. Er riecht so unglaublich streng. Würde ich ihr Blumen schenken, so würden sie davon sicher verwelken. Nicht, dass ich ihr das vorwerfe. Das liegt an ihrer Diät. Sie hat diese Vorliebe für Verdorbenes und Schimmliges. Da würde doch gewiss jeder so riechen.

Sicher hat sie ihre Qualitäten. Und Sie hat viel Erfahrung. Immerhin ist sie ja auch schon sehr alt. Auch hat sie wirklich schöne Augen. Ja, die sind wirklich eindrucksvoll. Und stark ist sie auch. Und schnell. So verdammt schnell. Beinah hätte sie mich eingeholt. Damals bei unserem ersten zufälligen Treffen an dem alten Schrottplatz. Fast hätte ihre Hand mich berührt. Hätte ich nicht noch den letzten Zug bekommen. Vielleicht wäre dann unsere Geschichte anders verlaufen.

Trotzdem. So einsam ich bin. Ich kann sie nicht lieben. Auch wenn sie mich so sehr liebt. So sehr, dass es mir Angst macht. Sie sucht mich. Sie möchte zu mir. Jeden Tag. Jede Nacht. Wo immer ich bin. Es ist bereits mein dritter Umzug. Hier in Berlin sollte ich doch jetzt sicher sein. Ich habe ja sogar meinen Namen ändern lassen. Ich sollte endlich Ruhe haben. Zu mir finden. Sie vergessen können.

Doch was war das. Dort am Fenster. Waren das graue Haarsträhnen? Waren da blaue Augen. Sie kann mich nicht gefunden haben. Sie darf nicht. Es klopft an der Tür. Die Post ist es nicht. Es ist Elf Uhr Nachts. Die Nachbarn sind weggefahren. Sie muss es sein. Was soll ich tun? Zum Auto rennen? Aber sie ist so verdammt schnell. Wieder klopft es. Unglaublich laut. Holz splittert. Die Tür wird nicht halten.

Es gibt keinen Ausweg. Ich muss mich ihr stellen. Meinem Schicksal. Meinem unausweichlichen Schicksal. Erneut ein Krachen. Sie kommt. Ich höre Schritte.

Oh Nein. Das Tagebuch! Ich muss es vernichten. Sie darf es nicht finden. Sie wird es lesen. Und wütend werden. So wütend. Ich muss es zerstören. Ich muss …

Sebastian, Sebastian. Warum nur hast du es nicht verstanden? Wie groß unsere Liebe war? Wie wichtig sie war. Für dich. Für mich. Für uns.

Meine Freunde hatten es mir gesagt. Sie meinten, dass wir nicht zusammenpassen würden. Dass du nicht bereit wärst. Aber ich habe ihnen nie geglaubt. Nun aber hast du ihnen letztlich recht gegeben. Du dummer Idiot. Ich hasse dich dafür. Und doch werde ich mich für immer in Liebe an dich erinnern.

Dein Körper kann nun endlich ungestört verrotten. Ich habe ihm Frieden gebracht. Deinem unruhigen Leib. Doch deiner Seele schenke ich einen sanft gehauchten Kuss.

Wo auch immer sie jetzt ist.

In Liebe

Deine Daniela

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