Stillste Nacht

Der Flocken Masse klatscht ins Meer
Der Winter frass die Speicher leer
Hier an der Küste rau und kalt
Ächzt jedes Haus in Gottgewalt

Das Mahl am Tisch noch unberührt
Ein blaßer Mann am Feuer friert
Sein Spiegelbild scheint unvertraut
Die Stirn voll Schweiß, das Herz klopft laut

Die Lippen singen rau ein Lied
So wie’s Stunden nun geschieht
So kratzig ist die Kehle schon
vom zitternd müden Bariton

Er wartet in der Einsamkeit
Hat von den Liebsten sich entzweit
Um sie zu schützen vor der Last
Die schon seit Wochen ihn erfasst

In seinen Ohren türmen sich
Abscheulich, fremd und fürchterlich
Die Stimmen, die er lang schon hört,
Die fast den müden Geist zerstört

Raunen in Worten unbekannt
Verzerrt, verworren bar Verstand
Von Dingen, die man niemals fand
Und einem pestgetränkten Land

Tief dröhnend dort vom Kirchenschiff
Wie eine Woge stirbt am Riff
Eilt segensschwerer Schall herbei
Beschwingt sein Herz, belebt es neu

Der tiefe Ton drückt’s Raunen nieder
Erhebt die angstgefror’nen Glieder
Als er sich aus dem Haus bewegt
Nahe dem algenfeuchten Steg

Die Gottgegeb’ne Stunde naht
Ein weitrer Schritt auf jenem Pfad,
Der ihm klar vorgezeichnet war
Seit jener alte Archivar

Sich seiner Bitte hat erbarmt
Nachdem er strengstens ihn gewarnt
Ihm jenes Buch hat offenbart
Von kaltem Wort und alter Art

Darin war in verworr’ner Schrift
Die Rede von der Stadt am Riff
In der ein alter Priester wohnt
Der jeden Pilgrer reich belohnt

Der jeder Seele Frieden schenkt
Sei sie auch tief in Leid getränkt
Und Stille süß und angenehm
Um Lärm und Aufruhr zu entgehn

Die Kirche ragt vor ihm empor
Im Schneegestöber brummt sein Ohr
Fühlt von der Glocke sich umgarnt
Die dröhnt und lockt und schwingt und warnt

Der weiche Schnee schluckt jeden Klang
In ihm erblüht ein wilder Zwang
Zu eilen hoch zum Gottesheim
Das ihm den Ausweg schenkt allein

Noch immer singt er seine Lieder
Daheim hallen dieselben wieder
Wo seine Liebsten ihn verachten
Am Tage vor den stillen Nachten

Die kalte Salzluft reizt die Kehle
In seiner Näh weilt keine Seele
Nur eine Möwe schreit verlor`n
Über die Qual in seinen Ohr’n

Mit jedem Schritt, den er vollbringt
Der Chor des Schreckens lauter klingt
Als sei’s der Plan der Wahngestalten
Ihn zwingen, zitternd einzuhalten

Zu sterben frierend hier im Schnee
Unweit der winterlichen See
Wo irgendwo im trüben Wind
Noch Hoffnung, Heil und Leben sind

Doch bitter stemmt er sich dagegen
Hält durch auf tonnenschweren Wegen
Erklimmt den Hügel Stück für Stück
Bis er die Klinke greift und drückt

Das Kirchenschiff ist morsch und feucht
Getaucht in dämmriges Geleucht
Von Kerzen dick und fast verbrannt
Auf grauen Fliesen klebt der Sand

Kaum Licht von Draußen dringt herein
In dieses kleine Gottesheim
Vorn am Altar ein hag’rer Greis
Ihm abgewandt zitiert er leis

Mit heilger selbstvergessner Wucht
Einen ihm nicht bekannten Spruch
Der salbvoll klingt von Wand und Dach
Wie ein aus Gott entsprung’ner Bach

„Die Welt ist eine harte Gunst,
Ein Stein in eines Dieners Hand,
Der wächst und wuchert unverwandt
In seiner trüben Tage Dunst.

Doch nicht zum Bauen ist er ihm
von höchster Macht gegeben
Nur wer ihn schleudert ungestüm
Kann wahres Sein erstreben

Wer sich nicht scheut die Saat zu brechen
Noch eh der Winter sich verzieht
Und alles Falsche zu erstechen
Auf das die Pracht der Nacht erblüht“

Der Mann er grüßt den Priester laut
Als seine Worte enden
Er dreht sich um und hält ein Buch
In trocknen, rauen Händen

„Was führt dich her, verlor’ner Sohn
In diesen kalten Tagen?“
Fragt er nun wispernd, unbetont
Als würd‘ die Stimm‘ versagen

„Ich suche Heilung, werter Mann
Von den Dämonenzungen
Die in mir schreien Tag und Nacht
Mit unerschöpften Lungen“

Der Priester nickt und tritt heran
Umweht von Grabesduft
So alt und knittrig, morsch und matt
Zerfällt fast in der Luft

Ganz nah kommt er, bringt seinen Mund
Schon beinah an sein Ohr
Der Atem feucht und ungesund
Ein Flüstern dringt hervor

„Mit diesem Dolch kann es gescheh’n,
Dass unwichtiges schweigt
Dass sich die höchste Wahrheit nur
In deinem Geiste zeigt.“

Der Mann blickt zu dem Dolche hin
Der in den Händen ruht
Ein altes Stück aus Blei und Zinn
Ergreift’s mit frischem Mut

Doch eh er es berühren kann
Der Priester ganz behänd
Hat jenen Dolch zum Hefte fast
In seinem Ohr versenkt

Er zieht ihn raus, wechselt die Hand
Und sticht von Neuem zu
Zwei spitze Schmerzen, blut im Sand
Und endlich da herrscht Ruh

Er hört die eignen Schreie nicht
Gequält von Schock und Leid
Kniet nieder, still im trüben Licht
Und fühlt sich doch befreit

Endlich, so meint er, schweigen sie
Die lästerlichen Stimmen
Doch Hoffnung bleibt nur Fantasie
Brüll’n sie doch nun von Innen

Kein Laut der Störung legt sich mehr
über das Leichenklagen
Über das Pandämonium,
Den Kanon aller Plagen

Erschüttert will er schließlich fliehen
Doch gibt es kein Wohin
Er fühlt die Hand und fühlt das Zieh’n
Und gibt sich schließlich hin

Der Priester lächelt ohne Herz
Doch voll von seel’ger Wonne
Hinter ihm öffnet sich ein Tor
Zum Reich der kranken Sonne

Einer bizarren, dunklen Welt
An unmöglichen Küsten
Wo windend, lüstern, unverstellt
Die Leiblosen sich brüsten

Er geht hinein und spürt den Sand
So kalt an seinen Zehn
Hört den Gesang, den niemand fand
Spürt ihn ins Herz eingehn

In stiller Wehmut lässt er jetzt
Die Welt und alles liegen
Die Ohren bluten, taub, verletzt
So tot wie Herz und Frieden

Bald schon sind seine liebsten Staub
Verbannt aus Geist und Liedern
Der fremde Sand klettert hinauf
Zwängt sich in kalte Glieder

Bald kaum noch menschlich schreitet er
In schwefelsauren Winden
Ihn treibt ein einsames Begehr:
Die Sänger aufzufinden

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